Sven Väth über die Popstars unter
den DJs und die Clubmusikinsel Ibiza
Bin populär, aber nicht kommerziell“
Sven Väth feiert an den Turntables der Welt Erfolge
Väth: „Haben in Ibiza einen neuen Sound etabliert“
Sven Väth, der Selbstdarsteller unter den DJs, der Exzentriker, der Superstar, polarisiert die Musikszene wie kein anderer. Von der Underground-Szene der elektronischen Musik, die das Wort Ibiza wie ein Schimpfwort ausspuckt, wird er als zu kommerziell angesehen, als selbstverliebter Gockel, der mit schalen „Gute-Laune“-Rufen besinnungslose Massen zur Ekstase peitscht. Doch wer mit diesen paar Worten seine unbestrittene Bedeutung für die Entwicklung und das Großwerden von Techno und Partykultur abtut, tut ihm unrecht.
Während die Ursprünge des Techno in den achtziger Jahren, ausgehend von Detroit und der dortigen Szene rund um das Produzenten- und DJ-Kollektiv Underground Resistance nichts als weg wollte von Personenkult und Hype und sich hinter anonymen Plattencovers und Parties versteckte, zelebrierte sich Sven Väth zur selben Zeit von Anfang an als Popstar, als Godfather of Techno, und scharte so schnell eine ewige und bedingungslos-treue Fangemeinde um sich. In jedem Wort und jeder Phrase schwingt seine unendliche Musikliebe mit. Man merkt, er meint es ernst mit seiner Mission, Feiern als rituellen Akt zu zelebrieren, Musik als Endorphinquelle zu propagieren und Techno als Technokultur, als Gesamtkunstwerk zu etablieren.
Sven Väth: „New Rave ist nur ein Hype“
CHiLLi: Heutzutage gehen viele Leute nur noch nach den Namen der großen DJs weg und nicht um der Musik Willen, wobei doch Techno laut der ursprünglichen Idee, hype-freie, pure Musik sein sollte. Die Betreiber der Wiener Clubnacht „Icke Micke“ drucken deswegen keine Flyer und Ankündigungen mehr. Was hältst du von dieser Idee?
Sven Väth: Ich finde, das ist genauso, wie wenn man einen Film dreht und keinen Schauspieler nennt. Musik wird von DJs gemacht und von DJs propagiert, produziert und erfunden, und da dann den Namen des Urhebers nicht mehr zu nennen, finde ich ganz ehrlich gesagt schwach. Für mich ist es doch wichtig, wenn ich einmal im Jahr nach Wien oder New York komme, dass die Leute, die meine Musik hören wollen, informiert sind und wissen, dass ich komme. Sicherlich gibt es einen DJ-Hype, der teilweise wirklich schon an Mainstream grenzt, aber nichts desto trotz finde ich es wichtig und eigentlich geradezu ehrenhaft von einem Club, den DJ, der spielen wird, zu promoten.
CHiLLi: Sind wir in Zeiten der großen Namen und DJs als Popstars also nicht schon zu weit von den Ursprüngen des Techno entfernt?
Sven Väth: Es spielen ja auch so viele DJs die gleichen Sachen, das heißt, es könnte Ricardo Villalobos oder Luciano oder auch Steve Bug sein, weil die vielleicht im Moment die gleichen Platten auflegen. Aber es geht doch da um Persönlichkeit. Die Technoidee, dies als anonym zu verstehen, habe ich nie vertreten. Underground Resistance und die Detroit-Schule sind ja aus ganz anderen Umständen entstanden, die kamen aus einem gewissen Underground heraus, aus dem sie agiert haben, um ihre Meinung kundzutun. Aber ich glaube, dass Kraftwerk oder auch Richie Hawtin oder Jeff Mills sich als Künstler nicht verstecken wollen, sondern schon auch mit ihrer Persönlichkeit blenden, und das so rüberbringen, wie sie es leben.
CHiLLi: Jungen, noch unbekannten DJs, zu denen die Leute vielleicht nicht dem Namen nach kommen würden, würde es aber doch helfen, wenn sie eine gleichwertige Chance bekommen wie die berühmten Stars …
Sven Väth: Ich glaube, wenn jemand gut ist, ist all das egal. Dass jeder DJ werden will, ist ja nicht das Problem der Clubs. Wenn einer gut ist, wird er sich durchsetzen, wird seinen Weg finden. Da kann man ganz andere Sachen machen, etwa einen DJ-Contest, oder man schafft Plattformen für junge Künstler. Bei mir im Cocoon Club in Frankfurt (Sven Väth betreibt seit zwei Jahren diesen Club, der komplett nach seinen Vorstellungen gebaut, ausgestattet und gestaltet wurde, Anmerkung der Redaktion) haben wir zum Beispiel das Projekt „Next Generation“, wo wir immer Newcomer einladen, und das machen wir auch bekannt. Gerade da ist es ja dann wichtig, dass ihre Namen auf den Flyern erscheinen.
CHiLLi: Du hast also auch kein Problem damit, als Kommerzkünstler bezeichnet zu werden?
Sven Väth: Wieso sollte ich? Ich weiß, was ich tue, meine Musik ist kompromisslos. Ich weiß, dass ich keine gefälligen Beats spiele, um irgendjemandem zu gefallen, I just follow my instinct. Ja, ich bin populär mit meinem Namen, aber kommerzieller Mainstream bin ich nicht. Ich bin nun mal seit 25 Jahren DJ und ich nehme doch an, dass das an dem einen oder anderen nicht vorbei gegangen ist.
CHiLLi: Auch Ibiza wird ja sehr oft von den einigen Underground-Musikhörern als „total scheiße“ abgestempelt …
Sven Väth: Ibiza ist auf jeden Fall, was das Clubleben angeht, in den letzten Jahren sehr kommerzialisiert worden, speziell von den Engländern. Deswegen war es ja auch mein Anliegen, dort Cocoon Club zu machen (es handelt sich um die berühmten Montagabende im Club Amnesia, Anmerkung der Redaktion), um den Leuten, und vor allem der Insel selbst, auf die ich seit 25 Jahren regelmäßig fahre, einfach etwas zurückzugeben. Mit dem, was wir in Ibiza machen, haben wir etwas aufgerissen. Wir haben wirklich einen neuen Sound etabliert.
Wir haben es geschafft, Ibiza immer noch als musikalischen Sender zu erhalten, als einer der weltweit meistbeachteten Plätze, die es gibt, wo Clubmusik so kompakt und komprimiert in drei Monaten stattfindet. Mit Cocoon haben wir da unsere Zeichen gesetzt und die Leute wurden weltweit darauf aufmerksam. Ich glaube, es gibt keinen Platz auf Erden, wo man so konzentriert ein so internationales Clubpublikum hat. Das macht Ibiza so speziell. Dass man natürlich auch die „anderen“ Parties hat, wo dann eben Paul Oakenfold, Paul van Dyk oder DJ Tiesto spielen, ist klar, das passiert halt dort genauso.
CHiLLi: Mit dir wird immer gute Laune assoziiert, dass du alles gibst, dass die Nacht unvergesslich wird. Ist es nicht wahnsinnig schwierig und anstrengend, wenn du jeden zweiten Tag woanders spielst, immer gut drauf zu sein und hundert Prozent zu geben?
Sven Väth: Musik macht ja grundsätzlich gute Laune, deshalb mache ich ja auch Musik. Es ist einfach meine Natur, ich bin Optimist, ich glaube an das Gute und dementsprechend wirke ich auch. Wenn ich also meine Musik mache und Leute dafür begeistern kann, für die Platten, die ich liebe, die ich ausgewählt habe, dann ist das einfach gute Laune.
Ich zwinge mich nie zu etwas, ich bin davon überzeugt, dass man die beste Leistung erbringt, wenn man etwas liebt, und ich liebe einfach das, was ich tue: die Musik, mit Leuten Kontakt aufzubauen, Spaß zu haben. Wenn ich merken würde, dass ich keinen Spaß mehr daran habe, dass es zuviel Energie kostet, dann würde ich natürlich zurücktreten. Ich mache sowieso drei Monate im Jahr Pause, da trinke ich keinen Alkohol, esse kein Fleisch, ernähre mich vegan. Ich muss natürlich auf mich schauen, auf meine Ernährung, darauf dass ich genug Sport treibe und so weiter, um meinen Job so machen zu können.
CHiLLi: Du bekommst pro Woche bestimmt eine Unmenge an Promoplatten …
Sven Väth: Ja, zwischen siebzig und hundert.
CHiLLi: Wenn ich zum Beispiel ins Plattengeschäft gehe und mir zehn Platten kaufen will, aber nur Geld für fünf habe, dann wähle ich diese mit unglaublicher Sorgfalt oder auch Liebe aus und sie werden zu etwas Besonderem. Wie kannst du die „Besonderheit“ denn noch bewahren angesichts dieser Flut an Musik, die du ständig bekommst? Wie schaffst du es überhaupt, sie alle durchzuhören und dir zu merken?
Sven Väth: Natürlich muss ich eine Vorauswahl treffen, etwa nach Labels, Namen oder Pressetexten. Pro Woche nehme ich mir um die fünf bis fünfzehn Platten heraus, zusätzlich zu denen, die ich mir kaufe.
CHiLLi: Du kaufst wirklich zusätzlich auch noch Platten?
Sven Väth: Ja klar, jede Woche! Ich habe so unglaublich viel Vinyl zur Zeit, es ist unfassbar. Es gibt ja noch so viele Musikrichtungen, die mir keine Promos schicken! Ich liebe Ambient Music, besonders von dem Pianisten Harold Budd, der auch viel mit Brian Eno und Robert Fripp zusammengearbeitet hat.
CHiLLi: Magst du auch klassische Musik?
Sven Väth: Ja, Klassik höre ich auch, aber nicht oft. Ich mag Puccini-Opern und Mozart, und natürlich Beethoven.
CHiLLi: Zurück zum Techno: Wie geht es denn jetzt weiter, in welche Richtung entwickelt er sich? Ist Minimal schon out und New Rave das neue Ding, also zum Beispiel Digitalism, Justice, Simian Mobile Disco, Klaxons? Was bringt die Zukunft?
Sven Väth: Es geht immer weiter, es wird immer neue Überraschungen geben. Was als nächstes kommt, ist mir eigentlich ganz wurscht, weil es sowieso passieren wird. Dieser ganze New Rave und Elektroclash ist ja nur ein Hype, ich messe dem keine große Bedeutung bei, da will ja keiner dazu tanzen! Das ist bei Digitalism vielleicht anders, aber diese ganzen Rock-beeinflussten Teeniebands, Klaxons zum Beispiel, werden halt in England groß gefeiert, aber ich glaube nicht, dass das bei uns so ankommt.
Wir werden eher independent bleiben. Ich bin sowieso von Minimal bis Maximal unterwegs, mich bekommt man in keine Schublade, denn Musik muss frei sein. Gerade wenn man Spaß hat am Tanzen, und daran, sich auszudrücken, dann will man ja auch die verschiedenen Stimmungsmomente „durchrauschen“, ob das jetzt traurig ist oder hart, happy oder naiv. Ich begrüße als DJ immer wieder neue Sachen und finde, es ist gerade das Schöne, unterschiedliche Dinge miteinander zu verknüpfen.
CHiLLi: Das geht ja auch gar nicht, als DJ nur in einem Genre zu bleiben.
Sven Väth: Das machen aber viele! Gerade DJs sind teilweise so schubladendenkend unterwegs, was früher oder später aber in eine Einbahnstraße führen wird.
CHiLLi: Wo spielst du am liebsten?
Sven Väth: Am liebsten daheim und in Ibiza, außerdem besonders gerne in Japan, Italien, Spanien, Holland und Belgien.
(14. August 2007, chilli.cc)