ibiza-heute:
Ihr Heim für den Fortschritt opfern…
Enteignung, um Platz für Ibizas neue Straßen zu schaffen
Die Mauern eines Hauses bedeuten Heimat, Erinnerungen und Geschichte, persönliche Geschichte – Leben. Sie sind ein Teil der Menschen, die in ihnen aufgewachsen sind, für die sie immer, auch in schwersten Zeiten, einen sicheren Platz bedeuteten.
Für José und Francisca ist das genau so. Die beiden Mittsechziger stehen stellvertretend für den scheinbar aussichtslosen Widerstand, der sich gegen den Ausbau des Straßennetzes auf Ibiza formiert hat. Die Bagger stehen vor ihrem Haus, das drei Generationen Familiengeschichte bedeutet. Sie kämpfen gegen die Zerstörung an – aber die Enteignung ist nur noch eine Frage der Zeit.
Das Leben von José Planells und seiner Frau Francisca Cardona wird von der Angst bestimmt. Von der Angst, plötzlich die Motoren der Bagger zu hören, die die Mauern ihres Hauses unaufhaltsam einreißen werden. Es kann jeden Moment soweit sein. Sie wissen nicht, ob sie noch in Frieden abends einschlafen dürfen. Sie sollen enteignet werden – oder sind es längst. Darüber tobt ein Rechtsstreit. Und das Ehepaar stellt sich den Bulldozern in den Weg, solange es irgendwie geht. Ihre Finca „Solaire“ beim Kreisel Can Sifre steht der Schnellstraße zwischen Eivissa und Flughafen im Weg. Um das Grundstück sieht es aus wie im Kriegsgebiet: umgerissene Bäume, Erdhaufen, zerstörte Häuser.
Als José und Francisca ihre Geschichte IbizaHEUTE vor einem halbem Jahr zum ersten Mal erzählten, währte der Widerstand in weiten Teilen der Bevölkerung bereits ein Jahr. Es hatte nicht lange gedauert, bis sich nach Bekanntwerden der Straßenbaupläne der Balearenregierung die Bewegung „
Plataforma Antiautopistas“ konstituierte. Wir haben ihre Geschichte seither begleitet. Getrieben von der Befürchtung, im wahrsten Sinne des Wortes entwurzelt zu werden und ihren Lebensabend ohne ihr Zuhause verbringen zu müssen, schlossen sich José und Francisca, beide 65, der Widerstandsbewegung an. Inzwischen haben sie ihr Hab und Gut, das sich im Lauf der Jahrzehnte in „Solaire“ angesammelt hat, zum großen Teil bereits in Kisten verpackt. José und Francisca wollen vorbereitet sein auf den Moment, in dem ihr Widerstand von den Behörden beendet wird, an dem sie ihr Haus räumen müssen und die Bagger dem alten Anwesen den letzten Todesstoß versetzen.
In den Worten des Ehepaars schwingt Verzweifelung und Resignation mit, bei Francisca deutlicher als bei José. Die beiden sind des Widerstands müde geworden. Wenn Francisca über die Zukunft nachdenkt, rinnen die Tränen aus ihren Augenwinkeln. Dann mischt sich Trauer mit Wut, denn laut des Paares wimmelt es in ihrem Enteignungsverfahren nur so von Formfehlern. Mit jedem Meter, den die mächtigen Bagger vor der Tür vorrücken, steigt die Panik und hilflose Wut, und sinkt die Hoffnung auf ein Wunder. Bleibt das tatsächlich aus, müssen Francisca und José in das Häuschen flüchten, in dem zurzeit eine ihrer Töchter wohnt. Es war zu seiner Zeit nur als Nebenhaus gedacht, viel zu klein für drei Personen. Außerdem verläuft die Trasse quer durch den Garten, wenn auch das Haus selbst stehen bleiben darf.
Gleich neben dem Grundstück von Francisca und José liegt die Finca „Can Malalt“, einer der Brennpunkte des Widerstands und Ort diverser Aufeinandertreffen von Straßenbaugegnern und Sicherheitskräften. Für Journalisten aus dem In- und Ausland ist die Finca die erste Anlaufstelle, um sich über die Protestbewegung ein Bild zu machen. Bis vor kurzem noch gediehen auf den Feldern von „Can Malalt“ Zitrusfrüchte, Gemüse und Heilkräuter, die dem Besitzer Antoni Planells Malalt ein Auskommen sicherten. Dann kamen die Bagger – mit ihnen aber auch Demonstranten, die sich an Olivenbäume klammerten und sich Planierraupen in den Weg stellten. „
Von Tag zu Tag kamen mehr Menschen, um uns zu unterstützen“, sagt Francisca noch immer beeindruckt von der Welle der Solidarität.
Den 24. Januar wird die rüstige Dame nie vergessen. Nie hätte Francisca geglaubt, in ihrem Altern noch von Polizisten vom Demonstrationsort entfernt zu werden. Mit anderen, meist viel jüngeren Straßenbaugegnern, versuchte sie, anrückenden Baggern den Zugang zur Finca eines Nachbarn in Sant Jordi zu versperren. Die Guardia Civil löste die Versammlung auf, mit der Folge, dass Francisca ihre verdrehten Gelenke im Krankenhaus behandeln lassen musste. Gegen das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte erstattete sie noch am selben Tag Anzeige. Der Guardia Civil in den Weg gestellt hat sich Francisca seitdem nicht mehr.
Der Schmied José und die Hausfrau Francisca stehen nur für eins von insgesamt 480 Schicksalen, das der immense Ausbau des ibizenker Straßennetzes für immer verändert. Das Ehepaar ist seit über 30 Jahren verheiratet und hat sich aus den anfangs kleinen Haus im Laufe der Zeit ein liebevolles Eigenheim auf zwei Etagen geschaffen. Die ursprüngliche Idylle ist längst dahin, ein großes verstaubtes Plakat am Eisenzaun zeugt vom Ende der Ära:
„No volem autopista“ - „Wir wollen keine Autobahn“.
Fragt man das Ehepaar nach der Höhe der Entschädigungszahlungen, die ihnen die Balearenregierung im Gegenzug angeboten hat, zucken sie nur mit den Schultern. Ein konkretes Angebot habe es bislang nicht gegeben, sagen Francisca und José. Auf die Idee, von sich aus nachzufragen, kommen sie erst gar nicht – bloß keine schlafenden Hunde wecken! Der Glaube an ein Wunder ist noch nicht gänzlich verflogen.
Dabei geht es den beiden Ibizenkern längst nicht nur um materielle Verluste. Stolz führt Francisca Besucher durch die liebevoll eingerichteten Wohnräume, allen voran die helle und blitzsaubere Küche mit Tür zum Hinterhof. „Was uns am meisten bedeutet, lässt sich mit dem Auge nicht erkennen. Die Finca bedeutet unser Leben. Und wie soll ich etwa meinem Vater beibringen, dass sie auch sein Haus abreißen wollen?“
Wie es weitergehen soll, wenn die Balearenregierung ernst macht und die Finca „Solaire“ dem Erdboden gleichgemacht wird, das können Francisca und José noch nicht sagen – oder gar fassen. Klar ist, dass auf den verbleibenden Quadratmetern des Geländes kein Platz für ein neues Heim ist. Balearenregierung und Inselrat beruhigen Enteignungsopfer mit dem Versprechen, umgehend eine Baulizenz für ein neues Zuhause auszugeben. Doch das Vertrauen in die Obrigkeit ist bei Francisca dahin. „Ich kenne Fälle, in denen den Antragstellern nur Knüppel zwischen die Beine geworfen werden.“
Auch nach anderthalb Jahren Verhandlung, Protest und Widerstand um den Bau der Schnellstraßen warten Francisca und José noch immer auf eine schriftliche Benachrichtigung oder einen Anruf von der Balearenregierung. Nur einmal, so beteuert das Ehepaar, zeigte man ihnen ein offizielles Schriftstück. Als ein Angestellter der Baufirma vor der Tür stand und die Enteignung vollstrecken wollte. Francisca kann sich noch gut erinnern, denn „der Mann kam ohne Behördenvertreter und mit einem Dokument in der Hand, auf dem zwar die Anschrift stimmte, aber ein völlig anderer Name eingetragen war“.
Francisca und José verwiesen den Mann des Grundstücks und begannen ihren anhaltenden Kampf. Aber der Widerstand ist auf Zeit. Solange man ihnen keinen rechtmäßigen Enteignungsbeschluss vorlegt, wollen sie den Baggern die Stirn bieten. Doch was, wenn es so weit ist? Francisca mag an diesen Moment gar nicht denken. „Ich weiß nicht, wie ich reagieren werde“, sagt sie nur leise…
Die Zahlen:
Wegen der Bauarbeiten
für den Ausbau der Schnellstraßen von Eivissa zum Flughafen und Eivissa-Sant Antoni
müssen etwa 480 Personen enteignet werden. Insgesamt sind davon 15 Häuser betroffen, 14 entlang der neuen Trasse von Eivissa zum Flughafen, und eins zwischen Eivissa und Sant Antoni.
Die Rechtslage:
Zunächst muss die Zentral- oder Regionalregierung die geplanten Projekte zum „Wohl der Allgemeinheit“ deklarieren. Beim Ausbau der Schnellstraßen auf Ibiza war dies der Fall. Danach müssen beim Enteignungsprozess bestimmte verwaltungsrechtliche Regeln erfüllt werden: Enteignungsbescheid, Zwangsräumungsbescheid (bei bewohnten Häusern und Wohnungen) und Bescheid zur Landnahme. Die Gegner der Ausbauprojekte kritisieren, dass die Enteignungsbescheide, wie im Fall von José und Francisca, nicht korrekt ausgearbeitet seien.
Die Zahlungen:
Die Balearenregierung hat bislang keine Angaben über die Höhe von Entschädigungszahlungen gemacht. Nur in einem Fall gibt es eine konkrete Zahl: So soll der Besitzer von Can Malalt sechs Euro pro Quadratmeter enteigneten Landes erhalten. Angaben der „Plataforma Antiautopistas“ zufolge unterteilt die Balearenregierung die bewohnten Grundstücke nach dem Zustand der Häuser und Wohnungen: Ruine, bewohnbar oder in einwandfreiem Zustand. Bei Landnahme durch die Verwaltung erhält der ursprüngliche Besitzer zunächst eine Vorauszahlung, die einem bestimmten Prozentsatz des vorher von der Balearenregierung festgelegten Gesamtwerts entspricht. Der Restwert wird zu einem späteren Zeitpunkt ausgezahlt. Viele Enteignete haben Widerspruch gegen die Höhe der Entschädigungszahlungen eingelegt, weil das ausgezahlte Geld nicht zum Kauf eines vergleichbaren Hauses reicht und mit dem Marktwert nicht im Entferntesten zu tun hat. Eine unabhängige Schätzung des realen Marktwerts des Grundstücks wird nicht durchgeführt.
Die rechtliche Situation:
Derzeit sind die Gerichte mit einer Vielzahl von Einsprüchen von Enteigneten beschäftigt. Die Mehrheit fechtet die möglicherweise fehlerhaft ausgearbeiteten Enteignungsbescheide an. Im Fall von „Can Malalt“, ähnlich dem von „Can Solaire“, hat der Oberste Balearische Gerichtshof Anfang April einen wenige Tage zuvor angeordneten vorübergehenden Baustopp wieder aufgehoben. Die Arbeiten an der künftigen Schnellstraße können somit weitergehen.
Kommentar:
Wann wird Recht zu Unrecht?
Politiker leisten einen Eid und haben eine moralische Verpflichtung. Eid und Moral sagen das Gleiche aus: Ein Politker hat nur ein Ziel, eine Aufgabe und die lautet: Ich stelle mein Leben und meine Arbeit in den Dienst der Menschen. Ich werde Gutes tun und Schlechtes fernhalten. Von allen Menschen – über Parteigrenzen und wirtschafltliche Interessen hinaus. Politiker schwören das. Doch halten Sie es auch?
Fakt ist: Die Inselregierung ist von den Bürgern Ibizas gewählt – und das mit großer Mehrheit. Und eine gewählte Regierung kann und soll Entscheidungen treffen, die für die Insel und die Menschen Positives bringen.
Fakt ist auch: Einige Straßen müssen entschärft und entlastet werden. Und bei Dienstbeginn, vor und nach der Siesta und nach Feierabend sind die großen Kreisverkehre an den Knotenpunkten der Insel hoffnungslos verstopft. Da ist Abhilfe dringend geboten.
Wahrscheinlich würden Abbiegerspuren an den Kreiseln und andere kleinere Verkehrsmaßnahmen reichen. Doch die Inselregierung entschied sich für ein gigantisches Straßenobjekt. Für zwei Autobahnen, die Millionen um Millionen kosten, bei der etwa 480 Menschen ihr Land oder ihre Häuser (15) durch Enteignung verlieren. Die Inselregierung beruft sich bei diesen gigantischen Projekten auf die so gesicherte Infrastruktur. Die jetzigen Großmaßnahmen sollen sicherstellen, dass die neuen Strecken dem steigenden Verkehrsaufkommen der kommenden Jahrzehnte gewachsen sind. Sie würden Verkehrssicherheit und Wohlstand (Tourismus) der Insel fördern. Kritiker – und davon gibt es Tausende – sehen das anders.
Doch die regierenden Politiker fühlen sich im Recht. Nach dem Gesetz sind sie wohl auch im Recht – auch bei der Enteignung der Anlieger. So jedenfalls haben die Gerichte bisher entschieden. Das Argument lautet: Wichtige Inselbelange stehen über dem Individuum. Und die Autobahnen werden als wichtige Inselbelange eingestuft.
Doch ist Recht wirklich Recht?
Kann Recht nicht ganz leicht zu Unrecht werden?
Der Bau der Autostraßen spaltet die Bevölkerung,
wie noch keine andere politische Entscheidung.
Ibiza hat in wenigen Monaten seine Friedfertigkeit verloren.
„
Inselregierung und Unternehmerfamilie Matutes wollen sich durch den Autobahbau bereichern“ – so hallt es von Gegnern laut über die Insel. Polizisten gehen in Schutzkleidung mit Schlagstöcken gegen Demonstranten vor. Militante Chaoten zünden Baumaschinen an. Der Einsatz der Polizisten mag rechtens sein, die Aktionen der Chaoten sind kriminell – aber beides ist ungeheuer schlimm für die Menschen, die Insel und ihren Ruf.
„Straßenkrieg im Ferienparadies“ lauten die Schlagzeilen der Zeitungen und Fernsehberichte in ganz Europa. All das sind Folgen einer Konfrontation, die mit mehr Mäßigkeit, gutem Willen und Aufklärung hätte verhindert werden können. Politik ist auch die Kunst des sozial Verträglichen – und des Kompromisses.
Politiker haben Verantwortung für alle Menschen, auch für die, die in Furcht vor der Vertreibung aus ihren Häusern leben, die seit Generationen der Familie gehören. Ob sich die Verantwortlichen ihrer Verantwortung wirklich bewusst sind? Das frage ich mich. Was denken Sie?
Ihr Dieter Abholte
Chefredakteur IbizaHEUTE