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Ibiza HEUTE > Magazin - Mai 2008 > Reportage / Story >
Von Willkür und Enttäuschungen
Ein Jahr ist es jetzt her,
dass die damalige Landesregierung die unvollendeten Schnellstraßen für den Verkehr freigab –
aber die Enteigneten warten noch immer auf ihr Geld
Der Bau der autovías spaltete seinerzeit die Insel, geographisch wie ideologisch.
In den lokalen Medien ist das Thema längst auf die hinteren Plätze verschoben worden.
Dabei gilt noch lange nicht „Ende gut, alles gut“.
Noch immer wird über Verantwortlichkeiten gestritten,
die Entschädigungsopfer kämpfen nach wie vor um Geld und Recht.
Die Straßen sind noch immer unvollendet, bei Regen saufen die Tunnel weiter ab,
die Anbindung der Schnellstraßen an die Ortsstraßen ist oft von Querrinnen gekennzeichnet,
die so manche Achse einer harten Probe unterziehen.
Unser Redakteur Reinhard Adel hat mit Verantwortlichen und Opfern geredet.
Wortlos und mit Wehmut lehnt Pep Guasch an der gewaltigen Betonmauer
zwischen den beiden Kreisverkehren Ca na Palleva und Can Sifre
und lässt seinen Blick über den sich dahinter ausbreitenden Abgrund
ins Leere schweifen.
Resignation steht in seinen Augen,
die sich hinter der leicht getönten Sonnenbrille verbergen.
Nach ein paar Sekunden hat er sich wieder gefangen und streckt die linke Hand aus.
Mit leiser Stimme fängt er an zu erzählen.
„Früher war ich zu Fuß in einer Minute da drüben,
heute brauche ich mit dem Auto zehn Minuten.“
Zwischen ihm und seinem einstigen Geschäftspartner Antoni Planells Malalt
hat sich der Fortschritt gezwängt.
Unaufhaltsam und nicht zu übersehen, vierzig Meter breit und zehn Meter tief.
Die Befürworter nennen diesen Fortschritt Schnellstraße,
seine Gegner Größenwahn.
Für den 58 Jahre alten Pep Guasch ist seit zwei Jahren nichts mehr so,
wie es einmal war.
Ihre kleine Firma „Plantes Ses Salines“, mit der die beiden Männer
über Jahrzehnte ihre Familien ernährten, ist inzwischen aufgelöst.
Heute erinnern nur noch die Gewächshäuser, die jenseits der Schnellstraßentrasse stehen,
daran, dass man auf Ibiza nicht nur mit Beton und Immobilien Geld verdienen kann,
sondern auch mit Setzlingen endemischer Pflanzen.
„Die Firma war unser Leben“, sagt Pep Guasch.
Doch in den Planstellen der Balearenregierung interessierte sich niemand sonderlich
für das Leben von Pep Guasch und Antoni Planells Malalt.
Und wie die Ereignisse zeigten, auch nicht besonders für das anderer Betroffener.
Der Bau der Schnellstraße spaltete seinerzeit die Insel, im wahrsten Sinne des Wortes.
Bis vor einem Jahr verging kaum ein Tag, an dem die Lokalzeitungen
nicht mit den neusten Enthüllungen oder richterlichen Anordnungen
rund um den Dauerbrenner Straßenbau aufmachten.
Zu allgegenwärtig war das Thema. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet,
der Kelch des medialen Protagonismus’ ist weitergereicht worden.
Wie sehr diese Jahre die Insel veränderten,
lässt sich eindrucksvoll am Beispiel der Person Albert Prats festmachen.
Mutig stellte sich der damalige Physiklehrer den anrückenden Baggern entgegen,
war treibende Kraft der Widerstandsbewegung „Plataforma Antiautopista“.
Nicht selten erhitzten sich auf den unzähligen Demonstrationen die Gemüter
zwischen den Hundertschaften der Polizei in Kampfmontur
und den Schnellstraßengegnern.
Handgemenge gehörten zur Tagesordnung.
Albert Prats brachte der beherzte Einsatz nicht nur viel Anerkennung
aus seinem Lager ein, sondern obendrein eine Klage der
damaligen Baudezernentin im Inselrat, STELLA MATUTES.
Heute sitzt Albert Prats selbst im Inselrat.
Er leitet das Dezernat für Umwelt und Mobilität.
Albert Prats hat nicht nur Stella Matutes’ Klage auf Körperverletzung abgeschmettert,
er nahm nach dem Wahlsieg des Mitte-Links-Bündnisses im Mai vergangenen Jahres
der Tochter des mächtigen Ibiza-Paten Abel Matutes auch noch den Job ab.
Ganz wohl, das bemerkt man schnell, fühlt sich Albert Prats in seinem Großraumbüro
im vierten Stock des Inselrats in seiner neuen Haut nicht.
Freunde und alte Weggefährten sticheln schon mal, gibt der Enddreißiger zu.
Für einen Politiker ist Albert Prats nur mit Einschränkungen geschaffen,
dafür ist er zu aufrichtig.
Sein Amt begreift er als Chance, einem in seinen Augen überdimensionierten Projekt
„so manchen faulen Zahn“ zu ziehen.
Der Wechsel vom staubigen Straßengraben in die helle Amtsstube
hat aber seine Tücken.
Protestieren ist einfacher als gestalten,
diese Erfahrung macht der Neupolitiker seit nunmehr fast einem Jahr.
Denn so richtig voran geht es bei der Fertigstellung der Schnellstraßen
zum Flughafen und nach Sant Antoni seit geraumer Zeit nicht mehr.
Das liegt unter anderem auch daran, dass das gesamte Schnellstraßenprojekt
für mehrere Monate auf den Prüfstand kommt.
Für eine umfangreiche Analyse der Bauarbeiten, aber auch der Enteignungsvorgänge,
stellt die neue Regierung knapp eine Millionen Euro bereit.
Dafür und für Verzögerungen anderer Art bezieht Albert Prats
von der Vorgängerregierung und jetzigen Opposition regelmäßig rhetorische Prügel.
Der ehemalige Präsident des Inselrats Pere Palau lässt keine Gelegenheit aus,
Albert Prats als unfähig darzustellen und ihm den Rücktritt nahezulegen.
„Bis Juni werden die Arbeiten an den Straßen beendet sein“, sagt Albert Prats.
Sehr überzeugend spricht er diesen Satz nicht aus, aber das mag daran liegen,
dass er noch nicht lange genug im Politgeschäft ist.
Den Schnellstraßen muss unter anderem noch ein letzter Asphaltbelag
aufgetragen werden.
Doch Asphalt fällt auch auf Ibiza nicht vom Himmel,
er muss erst einmal hergestellt werden.
Und hier kämpft Albert Prats mit den Geistern, die er einst selbst herbeirief.
Die Anlage zur Herstellung von Asphalt bei Sa Coma, gegenüber dem
Einkaufszentrum Hiper Centro, war nämlich bis Mitte April stillgelegt,
und zwar auf richterlichen Beschluss hin.
Albert Prats, dem Antiautopista-Aktivisten, und Anwohnern war die Anlage ein Dorn
im Auge. Heute sieht er das nicht mehr so eng.
Denn Albert Prats, der Inselratsdezernent, braucht die Staub und Lärm
erzeugende Herstellungsanlage.
Ohne sie würde es Autofahrer auf den kantigen Auf- und Zufahrten
zu den Schnellstraßen auch in Zukunft noch aus den Sitzen heben.
María Serra Sala hat mit Albert Prats einiges gemein.
Sie ist etwa sein Jahrgang, engagierte sich mit Herzblut in der Antiautopista-Bewegung
und wurde deshalb ebenfalls vor Gericht zitiert.
Dann ist aber mit den Gemeinsamkeiten auch schon Schluss.
María Serra Sala bekleidet heute kein gut dotiertes politisches Amt,
sondern trägt noch immer eine gehörige Portion Wut im Bauch.
Wenn die stämmige junge Frau mit den dichten, schwarzen Haaren
über die Ereignisse auf dem Grundstück ihrer Tante spricht,
dann knistert es förmlich in der Luft.
Ihre Familie hatte das Pech, vor vielen Jahren das bescheidene Häuschen
dort gebaut zu haben, wo die Straßenplaner der Landesregierung
die alte Landstraße nach Sant Antoni und den neuen vierspurigen Bogen
an einem Kreisverkehr zusammenführten.
Heute rumpeln Autos und Lastwagen keine zehn Meter vor der Haustür
am Heim der Tante vorbei. Früher war der Abstand zwar nicht viel größer,
„doch es gab den Kreisverkehr nicht, an dem die Fahrzeuge bremsen
und wieder anfahren.“
Doch an den Lärm gewöhnt man sich, sagt María Serra Sala, d
ie eigentlichen Folgen des Schnellstraßenbaus liegen tiefer.
Es ist die Art und Weise, wie Landesregierung und Inselrat mit ihrer Familie
und vielen anderen Enteigneten verfahren ist.
Man hat sie wie Terroristen behandelt, sagt sie mit einer Stimme,
in der sich Groll und Enttäuschung mischen.
„Dabei haben wir nur das verteidigt, was uns gehört.“
Als die Bagger an einem Märztag 2006 plötzlich vor der Tür auffuhren,
flankiert von mehreren Dutzend Polizisten, griff María Serra Sala zum Telefon
und trommelte zur Unterstützung die Familie zusammen.
Die ließ sich an diesem Tag zum Frühlingsbeginn nicht lange bitten und bot,
der Vater allen voran, den unangemeldeten und übermächtigen Besatzern die Stirn.
Nimmt man rechtsstaatliche Prinzipien als Maßstab,
hatten die Beamten der Landesregierung schlechte Karten.
„Die Enteignungsprotokolle waren nicht ausgefüllt.
Weder war darauf vermerkt, wie viel Land wir abtreten müssen,
noch stimmte die Anschrift“, erinnert sich María Serra Sala an diesen aufwühlenden Tag.
Eine Vorgehensweise, die andere Betroffene unabhängig von der Aussage
der jungen Frau bestätigen.
Mit dem Regierungswechsel in Palma und im Inselrat von Ibiza
hat sich das zuvor mehr als angespannte Verhältnis zwischen Politik und Widerstand deutlich gebessert.
Als Geste der Versöhnung sprach der sozialdemokratische Bauminister Jaume Carbonero,
wenige Wochen im Amt, den Enteignungsopfern sein Bedauern aus.
Als Nächstes richtete er im Inselrat eine Beratungsstelle
für die inselweit rund 500 Betroffenen ein.
Ein Anliegen, mit dem viele Bürger bei der Vorgängerregierung
auf taube Ohren gestoßen waren.
„Die machten sich über uns nur lustig, wenn wir um Auskunft baten“,
erinnert sich Pep Guasch an die Versuche, im Inselrat vorgelassen zu werden.
„Da merkte man, wie wenig wir normalen Bürger wert sind“, sagt María Serra Sala.
Doch nun sollte alles besser werden, die neue Landesregierung reichte den Enteignungsopfern die Hand.
Jaume Carbonero versprach zudem, den Auszahlungsprozess für die Entschädigungen
zu beschleunigen.
Nur die Allerwenigsten hatten bis dato das Glück, zumindest eine Vorabzahlung
für verlorenes Land erhalten zu haben. Meist wussten die Enteigneten nicht einmal,
wie viel Grundstück die Landesregierung auf der Rechnung hat,
und vor allem zu welchem Preis.
Doch den warmen Worten folgten nur zögernd Taten.
Auch eine sozialdemokratische Landesregierung prüft lieber zweimal,
ehe sie Geld an die Bürger abtritt.
Diese Erfahrung macht in diesen Wochen und Monaten auch Mariano Torres,
dem am Kreisverkehr Can Sifre vor Sant Jordi schätzungsweise 2000 Quadratmeter Grundstück abgezweigt wurden.
„Weil die Schnellstraße als ein Projekt von allgemeinem Interesse deklariert wurde,
haben mir die Behörden nur sechs Euro pro Quadratmeter Agrarland geboten“,
sagt der Chef der Firma „Motonáutica Ibiza“.
Für seinen potentiell bebaubaren Boden steigt das Angebot aus Palma
zwar immerhin auf 91 Euro, doch so richtig glücklich macht auch das
Mariano Torres nicht.
„Der Marktpreis beträgt gut das Doppelte“, sagt der Unternehmer,
der immerhin von sich behaupten kann, dass sein Geschäft mit Booten und Zubehör
nicht sonderlich unter den Umbauarbeiten gelitten hat.
Mariano Torres sieht durchaus auch die positive Seite der auch von ihm
so verhassten Schnellstraße.
„Ich wohne in Jesús, da spare ich im Winter drei Minuten Anfahrtszeit,
im Sommer sogar deutlich mehr.“
Trotzdem, sagt er, die Insel hat ein solches Monument aus Beton nicht gebraucht.
„Der riesige Graben ist doch völlig absurd,
das wäre ohne Tunnel genau so gut gegangen.“
Das erste Mal Geld von der Landesregierung sah Mariano Torres im November vergangenen Jahres,
eine Vorabzahlung für das enteignete Grundstück.
Über den großen Rest verhandelt derzeit sein Anwalt.
Große Hoffnungen macht sich der Ibizenko aber nicht:
„Wir Enteigneten werden bei diesem Deal auf alle Fälle die Verlierer sein.“
Zu den Verlieren des Schnellstraßen-Projekts zählen in gewissem Sinne
auch deren Verfechter.
Vor genau einem Jahr präsentierten die Wähler auf der Insel
der konservativen Volkspartei PP die Quittung für ihre Bauwut.
Da half auch die übereilte und politisch motivierte Freigabe
der unfertigen Schnellstraßen nach Sant Antoni und zum Flughafen
kurz vor dem Wahltermin nichts.
Und was seinerzeit jeder ahnte, bewahrheitete sich schon wenige Monate
nach der Wahl: „Bei den Bauarbeiten wurde gepfuscht.
Es ging nur darum, rechtzeitig zu der Wahl halbwegs befahrbare Straßen
präsentieren zu können“, sagt Antoni Amengol, Generaldirektor im balearischen Bauministerium
und oft gesehener Besucher auf Ibiza.
Nach den ersten heftigen Regenfällen im Herbst vergangenen Jahres staute sich
in der Unterführung in Puig d’en Valls das Wasser mehr als einen Meter hoch.
Drei Autos blieben seinerzeit stecken und konnten erst gerettet werden,
nachdem die braune Brühe abgepumpt worden war.
Die Ursache war schnell ausgemacht und allzu offensichtlich.
„Das Drainagesystem fehlte.
Es war zwar eines im Projekt geplant,
aber selbst das wäre unzureichend gewesen“, sagt Antoni Amengol.
Kaum waren die Unterführungen – auch auf den Schnellstraßen zum Flughafen
musste der Verkehr über mehrere Tage gesperrt werden – wieder trocken,
sackten an den Kreisverkehren Ca na Palleva und Can Sifre die Fahrbahndecken ab.
Wieder mussten aufwendige Ausbesserungsarbeiten vorgenommen werden.
Die Volkspartei, inzwischen im Landesparlament und im Inselrat in der Opposition,
reagierte mit ungewohnter Lässigkeit auf das Malheur.
„Man sollte die Sache nicht dramatisieren“,
versuchte man die vor Schadenfreude frohlockenden Gemüter der neuen Regierung
zu beruhigen.
Die soll lieber zusehen, dass sie die aufgetretenen Mängel, die bei Bauarbeiten
diesen Ausmaßes nun mal vorkommen, schnellstmöglich aus der Welt schafft.
Weiteres Nachfragen oder Nachhaken wird nur ungern, wenn überhaupt bearbeitet.
Das unliebsame Thema soll rasch in Vergessenheit geraten, frei nach dem Motto:
Darüber reden schadet nur.
Allenfalls versucht man sich mit rhetorischer Akrobatik zu rechtfertigen.
„Wir können für die Mängel nicht verantwortlich gemacht werden,
weil die Schnellstraßen offiziell noch nicht fertig gestellt und übergeben worden sind.
Sie wurden lediglich für den Verkehr freigegeben“,
heißt es auf Nachfrage von IbizaHEUTE in einem Antwortschreiben.
Antworten auf unsere Fragen um offensichtliche Fehlplanungen
wie zum Beispiel die Zufahrten zum Kreisverkehr Eivissa-Sant Antoni von
Puig d’en Valls aus (siehe Foto) oder die unfallträchtige und nach wie vor
Stau provozierende Brücken-Kreisverkehrs-Konstruktion bei Jesús gab es nicht.
Selbst wenn die letzten Arbeiten an den Schnellstraßen tatsächlich Anfang Juni
beendet sein sollten, für Pep Guasch wird die Insel nie mehr das sein,
wofür er sie lieben lernte.
„Ibiza hat sich wie ein Hure verkauft.
Das authentische Ibiza wird es bald nicht mehr geben,
und das mit ansehen zu müssen, tut weh“,
sagt er und dabei klingt noch nicht einmal Wut,
sondern nur Resignation und Trauer in seiner Stimme.
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(ibiza-heute/mai08 )