Pittley
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teil 3
Kontrolle versus Sicherheit: Verschiedene Länder wollen mit Daten aus Smartphone-Apps gegen das Virus vorgehen – hier die Stopp Corona-App des Österreichischen Roten Kreuzes.
KEYSTONE
Vor der Herausforderung des R-Designs stehen aber nicht nur diejenigen Branchen und Unternehmen, deren Existenz gerade akut gefährdet ist – sondern alle. Es handelt sich um eine Optimierungsbedingung, die an keiner Hochschule und in keiner Weiterbildung gelehrt wurde. Dort wird einem beigebracht, den Profit zu maximieren, die Kosten zu minimieren oder den Preis zu optimieren, den Gleichgewichtspunkt zwischen Angebot und Nachfrage zu finden. Es ist, als würde eine neue unsichtbare Hand nach uns greifen. Nicht so verheissungsvoll und freundlich wie die von Adam Smith, aber mit einer ähnlichen Wirkungsweise: Je mehr jeder danach strebt, die eigene Virulenz zu reduzieren, desto besser für den Gesundheitszustand der Nationen.
Beim R-Design geht es darum, ein Gleichgewicht zwischen Virulenz und Resilienz zu finden. Und dafür stellen sich viele Fragen, die so noch nie gestellt, geschweige denn beantwortet wurden. Wie macht man seine Wertschöpfungskette Corona-sicher? Wie kann man alle Rohstoffe und Produktkomponenten transparent zurückverfolgen, um für den Fall gerüstet zu sein, dass etwas schrecklich schiefgeht? Wie kann ein Lieferservice das Risiko verringern, dass seine Fahrer von den Kunden infiziert werden – und umgekehrt? Wie kann man die Luft im Aufzug filtern oder desinfizieren?
Das R-Team
Wenn Unternehmen sich jetzt nicht diese Fragen stellen und nach Lösungen dafür suchen, müssen sie damit rechnen, dass jemand anderes es tun wird: die Kunden, die Behörden, vielleicht auch die Gerichte.
Niemand kann ihnen vorwerfen, wenn sie hierfür bislang noch keine Antworten haben. Es handelt sich um Neuland für alle. Niemand hat je daran gedacht, den Kapitalismus umzubauen, um die Ansteckungsgefahr zu verringern. Aber man kann und wird ihnen vorwerfen, wenn sie nicht jetzt damit beginnen, ihre Prozesse und Produkte zu R-designen. Zum Beispiel durch die Einrichtung einer Taskforce, nennen wir sie «Das R-Team». R wie die Rate der Übertragung. R wie Risiko. R wie Resilienz. In jedem Unternehmen, in jeder Branche können solche R-Teams prüfen, wie man mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Risiko vermeidet.
Mehr Kontrolle kann bedeuten, dass unsere Freiheits- und Spielräume kleiner werden.
Doch, das lohnt sich. Sogar unabhängig davon, wie viel Gefahr von Corona droht. Denn dieses Virus ist nicht der einzige Drachen, mit dem wir da draussen kämpfen müssen. Pandemien können von neuen Viren oder antibiotikaresistenten Bakterien ausgehen. Sie können mehr oder weniger tödlich und mehr oder weniger ansteckend sein, aber sie haben das Potenzial, sich weltweit auszubreiten. Und es sollte unsere Aufgabe sein, unsere Systeme so umzugestalten, dass sie weniger anfällig und widerstandsfähiger werden.
Neues Gleichgewicht
Das gilt natürlich auch für unsere digitalen Systeme. Die Software um uns herum, im Netz, in der Cloud und in unseren Geräten hat eine grossartige Arbeit geleistet, um Wirtschaft und Gesellschaft während des Lockdowns über Wasser zu halten, und sie wird dies auch weiterhin tun. Aber je mehr unser Leben von digitalen Systemen abhängt, desto wichtiger wird es, uns vor der Ansteckung mit Computerviren, Würmern, Trojanern und anderer Schadsoftware zu schützen. Eine Verseuchung unserer digitalen Infrastruktur könnte nämlich genauso zum Zusammenbruch des öffentlichen Lebens führen, wie es jetzt mit Corona passiert ist.
Wir als Gesellschaft, wir als Menschheit müssen ein neues Gleichgewicht finden. Ein Gleichgewicht zwischen der Bekämpfung der Ansteckung auf der einen Seite und einem lebenswerten Leben auf der anderen Seite. Wir werden einen Preis dafür zahlen müssen – auf jeden Fall materiell, vermutlich auch immateriell. Mehr Kontrolle kann bedeuten, dass unsere Freiheits- und Spielräume kleiner werden. Aber genauso gut kann sie auch bedeuten, dass sich uns überhaupt Spielräume eröffnen. Wie frei unsere Entscheidungen bei der Suche nach diesem neuen Gleichgewicht sein werden und wie angenehm unser Leben sein kann, hängt hauptsächlich davon ab, wie das R-Design um uns herum aussieht. Und das hängt nicht vom Virus ab, sondern von uns selbst.
Detlef Gürtler ist Wirtschaftspublizist und war bis 2016 Chefredaktor der Zeitschrift «GDI Impuls»
Kontrolle versus Sicherheit: Verschiedene Länder wollen mit Daten aus Smartphone-Apps gegen das Virus vorgehen – hier die Stopp Corona-App des Österreichischen Roten Kreuzes.
KEYSTONE
Vor der Herausforderung des R-Designs stehen aber nicht nur diejenigen Branchen und Unternehmen, deren Existenz gerade akut gefährdet ist – sondern alle. Es handelt sich um eine Optimierungsbedingung, die an keiner Hochschule und in keiner Weiterbildung gelehrt wurde. Dort wird einem beigebracht, den Profit zu maximieren, die Kosten zu minimieren oder den Preis zu optimieren, den Gleichgewichtspunkt zwischen Angebot und Nachfrage zu finden. Es ist, als würde eine neue unsichtbare Hand nach uns greifen. Nicht so verheissungsvoll und freundlich wie die von Adam Smith, aber mit einer ähnlichen Wirkungsweise: Je mehr jeder danach strebt, die eigene Virulenz zu reduzieren, desto besser für den Gesundheitszustand der Nationen.
Beim R-Design geht es darum, ein Gleichgewicht zwischen Virulenz und Resilienz zu finden. Und dafür stellen sich viele Fragen, die so noch nie gestellt, geschweige denn beantwortet wurden. Wie macht man seine Wertschöpfungskette Corona-sicher? Wie kann man alle Rohstoffe und Produktkomponenten transparent zurückverfolgen, um für den Fall gerüstet zu sein, dass etwas schrecklich schiefgeht? Wie kann ein Lieferservice das Risiko verringern, dass seine Fahrer von den Kunden infiziert werden – und umgekehrt? Wie kann man die Luft im Aufzug filtern oder desinfizieren?
Das R-Team
Wenn Unternehmen sich jetzt nicht diese Fragen stellen und nach Lösungen dafür suchen, müssen sie damit rechnen, dass jemand anderes es tun wird: die Kunden, die Behörden, vielleicht auch die Gerichte.
Niemand kann ihnen vorwerfen, wenn sie hierfür bislang noch keine Antworten haben. Es handelt sich um Neuland für alle. Niemand hat je daran gedacht, den Kapitalismus umzubauen, um die Ansteckungsgefahr zu verringern. Aber man kann und wird ihnen vorwerfen, wenn sie nicht jetzt damit beginnen, ihre Prozesse und Produkte zu R-designen. Zum Beispiel durch die Einrichtung einer Taskforce, nennen wir sie «Das R-Team». R wie die Rate der Übertragung. R wie Risiko. R wie Resilienz. In jedem Unternehmen, in jeder Branche können solche R-Teams prüfen, wie man mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Risiko vermeidet.
Mehr Kontrolle kann bedeuten, dass unsere Freiheits- und Spielräume kleiner werden.
Doch, das lohnt sich. Sogar unabhängig davon, wie viel Gefahr von Corona droht. Denn dieses Virus ist nicht der einzige Drachen, mit dem wir da draussen kämpfen müssen. Pandemien können von neuen Viren oder antibiotikaresistenten Bakterien ausgehen. Sie können mehr oder weniger tödlich und mehr oder weniger ansteckend sein, aber sie haben das Potenzial, sich weltweit auszubreiten. Und es sollte unsere Aufgabe sein, unsere Systeme so umzugestalten, dass sie weniger anfällig und widerstandsfähiger werden.
Neues Gleichgewicht
Das gilt natürlich auch für unsere digitalen Systeme. Die Software um uns herum, im Netz, in der Cloud und in unseren Geräten hat eine grossartige Arbeit geleistet, um Wirtschaft und Gesellschaft während des Lockdowns über Wasser zu halten, und sie wird dies auch weiterhin tun. Aber je mehr unser Leben von digitalen Systemen abhängt, desto wichtiger wird es, uns vor der Ansteckung mit Computerviren, Würmern, Trojanern und anderer Schadsoftware zu schützen. Eine Verseuchung unserer digitalen Infrastruktur könnte nämlich genauso zum Zusammenbruch des öffentlichen Lebens führen, wie es jetzt mit Corona passiert ist.
Wir als Gesellschaft, wir als Menschheit müssen ein neues Gleichgewicht finden. Ein Gleichgewicht zwischen der Bekämpfung der Ansteckung auf der einen Seite und einem lebenswerten Leben auf der anderen Seite. Wir werden einen Preis dafür zahlen müssen – auf jeden Fall materiell, vermutlich auch immateriell. Mehr Kontrolle kann bedeuten, dass unsere Freiheits- und Spielräume kleiner werden. Aber genauso gut kann sie auch bedeuten, dass sich uns überhaupt Spielräume eröffnen. Wie frei unsere Entscheidungen bei der Suche nach diesem neuen Gleichgewicht sein werden und wie angenehm unser Leben sein kann, hängt hauptsächlich davon ab, wie das R-Design um uns herum aussieht. Und das hängt nicht vom Virus ab, sondern von uns selbst.
Detlef Gürtler ist Wirtschaftspublizist und war bis 2016 Chefredaktor der Zeitschrift «GDI Impuls»